Was diese spezielle Zeit mit mir anstellt (5)
Lieblingsbücher sind ganz spezielle Bücher, nicht zwingend “die wichtigen”, nicht unbedingt jene, die “einen geprägt” haben, Bücher halt, die man noch mehr liebt als die anderen – und mit denen meist eine Geschichte verknüpft ist, eine Erinnerung, die eine bessere Chance hat, wieder wach zu werden in Zeiten wie dieser. Lieblingsbuch 4/10 …
Während vieler Jahre habe ich mit Begeisterung Krimis gelesen. Jene von Agatha Christie waren mir die liebsten, sie teilen noch heute ein ganzes Regal mit den Maigret-Krimis von Georges Simenon. Bei Agatha Christie wiederum war mir Miss Marple lieber als Hercule Poirot. Grundsätzlich bevorzugte ich Krimis, bei denen ich mitdenken und mitraten konnte, stets natürlich in der leisen, Mal um Mal enttäuschten Hoffnung, den Täter entlarvt zu haben, bevor dies den Ermittelnden in den Büchern gelang.
Viele weitere Autorinnen und Autoren sind im Verlaufe der Jahrzehnte hinzugekommen. In den letzten Jahren hat mein Interesse jedoch abgenommen. Alle möglichen Mordvarianten schienen mir ausgeschöpft, das Angebot an neuen Titeln ist unübersehbar geworden, das Besondere zu finden, erscheint mir schwieriger denn je. Und vielleicht trägt noch etwas dazu bei, dass ich Krimis zunehmend zu meiden begonnen habe: Die reale Welt ist zu blutig, als dass ich mich so locker und fasziniert wie ehedem auf Mord und Totschlag einlassen will.
Agatha Christie jedoch ist mir erhalten geblieben; sie hat wohl auch mein frühes England-Bild mitgeprägt. Zu dieser kleinen Welt, deren Handlungsorte und Personen, die sie bevölkerten, man sich so herrlich ausmalen konnte – der Vorteil des Buches, das nicht, wie der Film, «fertige Bilder» vorsetzt –, gesellten sich andere Eigenheiten, die man den Briten zuschreibt. Etwa der spezielle Humor, den ich seit jeher liebe. Vor allem beflügelt wurde das Interesse an der Insel indessen durch die Musik, die von dort kam. Die langen und immer längeren Haare wurden zum täglichen Diskussions- und Zank-Punkt, und, auf der Zeitachse, bald einmal wollte bei uns James Schwarzenbach die Schweiz vor der Überfremdung schützen – die Freiheit schien definitiv anderswo zu liegen. Zahlreiche Aufenthalte in England später, sind vor allem Erinnerungen geblieben, viele gute, viele unvergessliche Momente. Das ist wohl auch ein wenig Agatha Christies Verdienst.